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EIN MEER VOLLER ROSEN

vom 18.03.2021

Seit neun Jahren fährt Arne Fröhlich am Todestag seiner Frau an die Ostsee, wo sie bestattet ist - in diesem Jahr musste ihn der Wünschewagen dabei unterstützen

Arne Fröhlich ist diese Strecke so oft gefahren, dass er die markantesten Punkte im Schlaf aufsagen könnte – oder auch jetzt, entgegen der Fahrtrichtung im Wünschewagen liegend: Kreuz Wismar, Raststätte Fuchsberg, Warnowtalbrücke, Kreuz Rostock, Ausfahrt Rostock-Nord. „Und jetzt kommt gleich der Kreisverkehr, wo es an der ersten Ausfahrt nach Rövershagen geht“, weiß der 61-Jährige.
Doch der Wünschewagen nimmt die zweite Ausfahrt in Richtung Graal-Müritz und Markgrafenheide – so, wie es auch Arne Fröhlich in den letzten Jahren an jedem 14. Dezember getan hat.
An diesem Tag ist vor neun Jahren seine Frau verstorben. Seither bringt er ihr in jedem Jahr rote Rosen ins Meer vor Markgrafenheide, dorthin, wo sie ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. Nur 50 Jahre alt sei sie geworden, so der Parchimer, der Krebs hätte sie beide viel zu früh auseinandergerissen.

„Wir haben das Meer geliebt“, erzählt Arne Fröhlich dann weiter, „deshalb ist sie auch auf See bestattet worden.“ Und dann setzt er nach einer kurzen Pause hinzu: „Wenn ich den nächsten Schlaganfall nicht überlebe, dann will ich auch da hin.“ Seinen ersten Schlaganfall hatte Arne Fröhlich im Oktober. Er hat ihn überlebt –doch muss er seit her mit einer Vielzahl von Einschränkungen leben. Die vielleicht schlimmste: Er ist halbseitig gelähmt, kann deshalb auch nicht mehr allein gehen. In der Helios Akutrehaklinik in Leezen am Schweriner See versuchen Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten, ihn so weit wie möglich wieder aufzubauen. Doch das geht nur sehr, sehr langsam voran. Und das wiederum macht auch der Psyche des Forstarbeiters zu schaffen. Dazu kommt die Sorge, dass er es in diesem Jahr zum ersten Mal seit ihrem Tod nicht allein schaffen wird, seiner Frau am 14. Dezember Rosen nach Markgrafenheide zu bringen.

Eine Psychologin erkennt, wie wichtig dieses Datum für den schwerkranken Mann ist. Weil sich in der Klinik gleich mehrere Mitarbeiter ehrenamtlich für den ASB-Wünschewagen engagieren, ist dieser dort gut bekannt – und so wird kurzerhand eine Fahrt für Arne Fröhlich angemeldet.
Der große, bärtige Mann kommt deshalb schließlich auch an diesem 14.Dezember nach Markgrafenheide. Doch nicht nur die Anfahrt verläuft anders als sonst. „Bisher hab ich die Blumen immer zu meiner Frau ins Wasser gebracht“, erklärt er – und meint damit tatsächlich, dass er Anfang Dezember noch in die Ostsee gestiegen ist. Für Arne Fröhlich nichts, worüber man ein Aufheben machen sollte. „Man hört einfach im Sommer ein bisschen später auf, ins Wasser zu gehen, und fängt im neuen Jahr immer ein bisschen früher wieder mit dem Baden an“, erklärt er Jaqueline Meerkatz, die ihn in der Klinik als Schwester betreut, heute aber zugleich auch ihre 6.Fahrt als Begleiterin Im Wünschewagen absolviert. Etwas von seinem Humor aus der Zeit, als er noch gesund war, blitzt auf, als er weiter erklärt: „Wenn wir den Jahreswechsel in Prerow verbracht haben, dann war Silvester Abbaden und Neujahr Anbaden.“
Doch diesmal ist an ein Bad nicht zu denken. Schon der sandige Weg vom Parkplatz auf die Düne und dann hinunter bis an die Ostsee scheint unüberwindbar zu sein. Glücklicherweise hat Wünschewagen-Koordinator Matthias Hildebrand, der wie Andreas Falk ebenfalls zu den Begleitern dieser Wünschefahrt gehört, vorgesorgt: Bei der Strandoase Treichel in Warnemünde hat er einen Bade- Rollstuhl bestellt. Deren Mitarbeiter Detlef Horst und Jürgen Förtsch bringen das Gefährt mit den dicken Gummireifen nicht nur direkt an den Strandzugang, sondern helfen auch mit, Arne Fröhlich hineinzuheben und über die Dühne zu ziehen.
Dabei bleiben sie nicht unbeobachtet. Während der Witwer am Todestag seiner Frau sonst allein an die Ostsee fährt, sind diesmal auch seine älteren Brüder und Freunde nach Markgrafenheide gekommen. Vor allem das Ehepaar Schulz aus Prerow, bei dem Arne Fröhlich zu Besuch war, als er seinen Schlaganfall erlitt, muss sich erst einmal sammeln. „Du hast aber abgenommen“, formulieren sie vorsichtig ihren Schrecken über das veränderte Aussehen des Freundes. „Ja, sieben Kilo“, gibt der unumwunden zu. Schlechte Stimmung kommt dennoch nicht auf. Zu sehr freuen sich alle über das Wiedersehen, das eifrig mit Handyfotos dokumentiert wird.

Und dann wird es still. Arne Fröhlich nimmt einen von seinen Brüdern mitgebrachten Rosenstrauß in die Hand und schaut aufs Meer hinaus. Freunde, Verwandte und auch das Wünschewagenteam lassen ihn allein, denn nun sind seine Gedanken allein bei seiner Frau. Minutenlang bleibt sein Blick aufs Wasser gerichtet. Dann hebt er den Arm mit den Rosen ganz hoch, als wollte er winken.
Dabei, die Blumen ins Wasser zu werfen, helfen ihm seine Begleiter dann wieder. Auch sie selbst haben Rosen mitgebracht für die verstorbene Schwägerin und Freundin. Der Zufall lässt den Wind an diesem Tag ablandig wehen, sodass die Blüten sacht dorthin hinaustreiben, wo sie ihre letzte Ruhe gefunden hat.
Arne Fröhlich kann jetzt aufatmen. Die Mission für den 14.Dezember–er hat sie trotz der widrigen Umstände auch in diesem Jahr erfüllen können. Jetzt kann er sich wieder anderen Dingen zuwenden, zuerst einmal seinen Brüdern und den Freunden. Eine gute halbe Stunde lang tauschen sie sich über Gott und die Welt und Corona aus – schließlich soll das öffentliche Leben schon am übernächsten Tag zum Erliegen kommen. „Gut, dass wir uns heute noch mal getroffen haben, wer weiß, wann das zum nächsten Mal gehen wird“, sind sich alle einig.
Und bevor der Wünschewagen den Rückweg nach Leezen antritt, wird Arne Fröhlich mit Weihnachtsgeschenken regelrecht überschüttet. Das Fest und auch den Jahreswechsel wird er ganz sicher noch in der Klinik verbringen müssen. Was danach kommt, sagt er, müsse man sehen.

Text und Bild: Karin Koslik / NNN

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