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Gesichter des Projekts: Korinna Lembke

vom 19.12.2018

„In dem Moment, in dem die Musik losgegangen ist, da hat er reagiert. Seine Augen wirkten viel wacher. Er hat körperlich reagiert – eindeutig.“

Über 80 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sorgen dafür, dass das ASB-Projekt „Wünschewagen – Letzte Wünsche wagen“ in Mecklenburg-Vorpommern sein wichtigstes Ziel erreichen kann: schwerstkranken Menschen ihren letzten Wunsch zu erfüllen. In der Rubrik „Gesichter des Projekts“ möchten wir unsere WunscherfüllerInnen vorstellen. Im zweiten Teil der Reihe stellen wir Korinna Lembke vor.

Hallo Korinna, deine allererste Wünschefahrt liegt mittlerweile über 15 Monate zurück. Erinnerst du dich noch daran?
Diese Fahrt werde ich nicht vergessen. Ich weiß noch, dass ich im Vorfeld sehr aufgeregt war, weil ich niemanden vom Wünschewagen-Team oder vom Arbeiter-Samariter-Bund kannte und auch nicht wusste, was mich erwartet. Zudem war mit Frau Koslik eine Redakteurin der Schweriner Volkszeitung dabei, um über die Fahrt zu berichten.
Aber als wir Günter kennenlernten und er im Wünschewagen sofort zu erzählen begann - er war sozusagen unser Reiseführer, weil er auf dieser Strecke sehr oft mit seiner Frau unterwegs war - hatte ich gleich ein gutes Gefühl.
Unser Ziel war Zingst. Günter wollte in der Bäckerei seines Bruders Karl-Heinz ein Stück seines Lieblingskuchens essen. Da wir über Graal-Müritz gefahren sind, haben wir davor aber erst noch an seinem alten Ferienhaus gehalten. In Zingst erwartete unseren Wünschenden dann ein regelrechtes Familientreffen, das sein Bruder für ihn organisiert hatte. Und natürlich bekam er in der Bäckerei, die mittlerweile der Sohn von Karl-Heinz betreibt, sein herbeigesehntes Stück Erdbeerkuchen.  
Auch auf dem Rückweg haben wir noch einmal angehalten. Diesmal in Ribnitz-Damgarten, wo Günter früher gewohnt hat. Es war schön, dass wir uns richtig Zeit für die Wunscherfüllung nehmen und Günters Augen so strahlen sehen konnten.

Mit welchem Gefühl fährt man nach einer Wünschefahrt nach Hause?
Man fährt mit einem guten Gefühl nach Hause, weil man einen Mitmenschen mit seiner Zeit glücklich gemacht hat. Manchmal macht es natürlich auch nachdenklich, weil einem die eigene Endlichkeit vor Augen geführt wird. Aber auch wenn man abends total erschöpft ins Bett fällt, überwiegt immer das Glücksgefühl.  

Wie bist du auf das Projekt Wünschewagen in Mecklenburg-Vorpommern aufmerksam geworden?
Das Projekt wurde im Juni 2017 – ich glaube zur feierlichen Schlüsselübergabe in Warnemünde – in der Ostsee-Zeitung vorgestellt. Ich war von der Idee so begeistert, dass ich kurz darauf die Projektleiterin Bettina Hartwig angerufen und einen Ehrenamtsbogen ausgefüllt habe. Danach ging alles recht schnell. Am 11. August nahm ich an einer Schulung für neue Helferinnen und Helfer teil und gute zwei Wochen später saß ich bereits neben Günter im Wünschewagen.

Du bist hauptberuflich als Sozialarbeiterin und stellvertretende Pflegedienstleiterin im Krankenhaus in Bad Doberan tätig. Warum engagierst du dich auch in deiner Freizeit in diesem Bereich?
Weil ich mir hier viel mehr Zeit für meinen Gegenüber nehmen kann. Diese Zeit, jemanden zu begleiten, die Geschichten kennenzulernen: das ist schön. Im Krankenhaus geht es viel um Belegung, um Zahlen, um formelle Dinge. Beim Wünschewagen legt man einfach los. Wenn der Wünschende während der Fahrt nochmal woanders hinmöchte, dann machen wir das. Wenn es eine Stunde länger dauert oder zwei, dann ist das in Ordnung. Diese Freiheiten zeichnen das Projekt auch aus und machen es so besonders.

Wie gut kannst du damit umgehen, dass du Wünsche von Menschen erfüllst, denen nicht mehr viel Zeit bleibt?
Da ich weiß, dass wir diesen Menschen einen Herzenswunsch erfüllt haben, belastet mich das nicht. Ich kann gut damit umgehen und erinnere mich gerne an vergangene Fahrten. Dafür habe ich mir auch ein Fotoalbum angelegt, damit etwas von den vielen schönen Momenten bleibt. Für die Angehörigen ist es oft genauso.

Bleibst du mit den Wünschenden und/oder den Angehörigen auch nach einer Wünschefahrt in Kontakt?
Das ist unterschiedlich. Zu einigen habe ich gar keinen Kontakt, was auch absolut verständlich ist, weil die Wünschefahrten natürlich auch wehtun und sehr emotional sind. Bei einigen mache ich wiederum Fotos und verschicke sie oder bringe sie ausgedruckt vorbei.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Pflegeeinrichtungen und Hospizen, in denen unsere Wünschenden leben und die sich mit einer Anfrage an uns wenden?
Das ist eine sehr wertschätzende Zusammenarbeit, weil sich die Mitarbeiter nur das Beste für ihre Bewohner wünschen. Sie geben uns viele fachliche, aber auch persönliche Informationen mit, damit wir gut vorbereitet sind.

Was sagt deine Familie dazu, wenn du für den Wünschewagen unterwegs bist und vor allem längere Strecken auf dich nimmst?
Sie vermissen mich natürlich, aber sie wissen, dass ich das mit viel Herzblut mache und halten mir dann den Rücken frei. Wenn man zuhause keinen Rückhalt hat oder das Verständnis fehlt, dann kann man das nicht machen. Ich bin froh, dass mich meine Familie so toll dabei unterstützt.

Wie viele Wünschefahrten hast du schon mitgemacht?
Bis zur zehnten Fahrt habe ich noch mitgezählt, aber danach habe ich den Überblick verloren. Aber ich erinnere mich an jede einzelne Wunscherfüllung.

Und bestimmt auch an jeden Mitfahrer oder? Wie gut fühlst du dich im Wünschewagen-Team aufgehoben?
Sehr gut. Obwohl ich am Anfang keinen kannte, wurde ich ganz schnell herzlich aufgenommen. Es gab noch kein Team, das sich nicht gut angefühlt hat. Wir alle haben das gleiche Ziel: Wir möchten letzte Wünsche erfüllen. Das schweißt zusammen – genau wie die Jacken, die wir bei unseren Fahrten tragen. Ich habe nach dem Anziehen immer das Gefühl, Teil einer Einheit und eines wunderbaren Teams zu sein. Durch das Projekt bin ich mutiger geworden und fahre den Wagen mittlerweile auch selbst, weil mich ein Kollege dazu ermuntert hat. Das war wichtig, denn jetzt fühle ich mich auch hinter dem Steuer wohl.
Und Bettina, unsere Projektleiterin, gibt einem sowieso immer ein tolles Gefühl. Sie bereitet alles bis ins Detail vor, befreit uns vor der Fahrt vom Druck und gibt damit den entscheidenden Impuls für jeden erfüllten Wunsch.

Gibt es eine Wünschefahrt, die für dich besonders schön war?
Ich fand alle Wünschefahrten schön, weil es ja für denjenigen oder diejenige der große Wunsch war, der wahr geworden ist. Jeder Wünschende hat sich während seiner Wunscherfüllung wohl gefühlt. Sie haben es nicht bereut, einen falschen Wunsch formuliert zu haben. Das zählt für mich.
Aber eine Fahrt war vielleicht doch etwas anders. Wir waren vor ein paar Monaten mit einem Wachkoma-Patienten auf einem Britney Spears-Konzert in Berlin. Seine Mama hatte sich mit diesem Wunsch an uns gewandt. In dem Moment, in dem die Musik losgegangen ist, da hat er reagiert. Seine Augen wirkten viel wacher. Er hat körperlich reagiert – eindeutig. Das hat mir gezeigt, dass es sich auch für Menschen lohnt, die auf den ersten Blick weniger wahrzunehmen scheinen. Ein wacher Wünschender kann sich natürlich besser artikulieren oder sich danach bedanken, aber hier wussten wir: er genießt es.

Warum ist der Wünschewagen ein unterstützenswertes Projekt?
Weil er mit einfachen Mitteln etwas Gutes tut. Es sind die kleinen Wünsche, die in Erfüllung gehen sollen. Ein Lebewohl von der Ostsee, das Stück Kuchen, der Besuch bei der Familie.
Das heißt, jede Spende trägt dazu bei, dass Wünsche erfüllt werden können. Das ist vor allem für Privatpersonen oder kleinere Zusammenschlüsse wichtig, die sich vielleicht fragen, ob ihre Spende überhaupt etwas bringt. Eindeutig, ja! Die Wünschenden sollen sich am Tag ihrer Wunscherfüllung keine Gedanken übers Geld machen. Das haben sie vermutlich viel zu oft in ihrem Leben. Letztlich - und das zeigt unser Projekt - stehen ganz andere Dinge im Vordergrund. Nämlich Zeit miteinander zu verbringen und sich mit seinen Liebsten und seinen Mitmenschen aktiv zu beschäftigen.

Vielen Dank für das Interview, Korinna!

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